Schafft Gerechtigkeit
Hunderte Menschen drängeln sich auf einer Straße im Prenzlauer Berg in Berlin. Nein, es ist keine Demonstration gegen irgendetwas. Es werden auch nicht Freikarten für ein Rockkonzert verteilt. Es geht schlichtweg um eine Wohnungsbesichtigung. Wie der rbb (Radio Berlin Brandenburg) vor einer Woche berichtete, war eine relativ preiswerte Wohnung zu besichtigen. Und sich als Mieter zu bewerben. Wobei von vornherein klar war, dass als neuer Mieter nicht die Studenten-WG in Frage kommt, sondern eher der Zahnarzt aus Wuppertal, der eine Berliner Zweitwohnung wünscht. Oder der Bundestagsabgeordnete, der sich auch in die Schlange der 800 Interessierten eingereiht hat.
Sicher: Was da im Berliner In-Kiez passierte, dürfte eine Ausnahme sein. Aber diese Ausnahme markiert ein zunehmendes Problem. Nicht nur in den großen Ballungsräumen wird es immer schwieriger, mit einem durchschnittlichen Gehalt geeigneten Wohnraum zu mieten oder zu erwerben. Göttinger Studenten können ein Lied davon singen.
„Bezahlbare Mieten“, war auf Plakaten zu den letzten Wahlen zu lesen. Und von Gerechtigkeit wurde gesprochen. Nun haben die Gewählten in Bund und Land Gelegenheit, sich genau darum zu kümmern. Um Gerechtigkeit. Um das Verkleinern der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen arm und reich. Dabei ist Ungerechtigkeit kein neues Problem. In der Bibel schreibt der Prediger (Kohelet 5,7): „Siehst du, wie im Lande der Arme Unrecht leidet und Recht und Gerechtigkeit zum Raub geworden sind, dann wundere dich nicht darüber; denn ein Hoher schützt den andern, und noch Höhere sind über beiden.“
Besteht also keine Hoffnung? Sollen wir lieber den Kopf in den Sand stecken? „Jage nach der Gerechtigkeit“, fordert Paulus seinen Mitarbeiter Timotheus auf (1Tim 6,11). Das gilt auch uns. An unserem Platz und mit unseren sicher begrenzten Mittel zur Gerechtigkeit beitragen. Und die Gewählten immer wieder an ihre Aufgabe zu erinnern: Schafft Gerechtigkeit.
Wolfgang Bauer