Die Hoffnung wach halten
Mathematik und Physik will er studieren. Sein Leben scheint vorgezeichnet. Eigentlich. Doch dann kommt der Zweite Weltkrieg. Als Schüler und junger Soldat überlebt er nur knapp die Zerstörung der Hamburger Innenstadt. 40.000 Tote. Später schreibt er darüber: „Ich lag mit meiner Klasse in der Alsterbatterie und wir wurden von Bomben eingedeckt. Die Bombe, die den Freund neben mir zerriss, hat mich verschont. Und in der Nacht habe ich zum ersten Mal gefragt: Wo ist Gott?“
91 Jahre alt ist der Mann, der davon erzählt. Aus seinem Studienwunsch Mathematik und Physik wird damals nichts. Denn er gerät in englische Kriegsgefangenschaft. In dieser Zeit verändert eine besondere Begegnung sein Leben: „Da ist mir in meiner Gottverlassenheit der gottverlassene Christus nahegekommen durch die Bibel. Seitdem lebe ich in der Gemeinschaft mit Christus.“ Noch in Gefangenschaft beginnt er EvangelischeTheologie zu studieren. Aus ihm wird einer der bekanntesten Theologieprofessoren unserer Gegenwart: Jürgen Moltmann. Dafür, dass er seit Jahrzehnten die Hoffnung auf Frieden unter uns wach hält, wurde er vor wenigen Tagen mit dem „Tutzinger Löwen für Weltoffenheit und Toleranz“ ausgezeichnet.
Als Zeitzeuge erinnert er uns am Volkstrauertag an die Toten des Krieges und bestärkt uns, dem Bösen keinen Raum zu geben. In seiner "Theologie der Hoffnung" beschreibt Moltmann die Möglichkeiten Gottes, unsere Welt zu heilen: „Indem wir auf das Reich Gottes hoffen, öffnen wir alle unsere Sinne für die ankommende Wirklichkeit Gottes. Mitten unter uns beginnt es schon. Wo wir bescheiden werden, können Frieden und Gerechtigkeit in unsere Gegenwart einbrechen.“
Halten wir diese Hoffnung unter uns wach. Mit der unfertigen Welt, wie sie ist, müssen wir uns nicht abfinden. Denn die neue Erde wird kommen. Sie wird neu sein in einem ungeahnten Ausmaß und niemand geht in ihr verloren. Gerade am Volkstrauertag tut uns diese Hoffnung gut. Und wenn wir im Vaterunser gemeinsam beten: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe - wie im Himmel, so auf Erden!“ Dann ist das nicht nur Hoffnung auf ein besseres Leben, sondern auch Programm.
Stephanie von Lingen, Superintendentin im Kirchenkreis Leine-Solling