Herbstgedanken
Im „STRUWELPETER“ findet sich ganz am Ende die „Geschichte vom fliegenden Robert“. Bei Wind und Wetter macht er sich auf den Weg, spannt seinen Schirm auf und huiii - weg ist er. Moral: Brave Kinder bleiben zuhause, „wenn der Regen niederbraust und der Sturm das Feld durchsaust“, denn: „Wo der Wind ihn hingetragen, ja, das weiß kein Mensch zu sagen.“
Obwohl die Geschichte des fliegenden Robert kein gutes Ende nimmt, sehe ich doch in ihm einen Seelenverwandten. Auf diese herbstlichen Wochen habe ich mich gefreut. Mir gefällt es, wenn die Natur ihr buntes Abschiedskleid anlegt und der Wind seine mitunter raue Melodie pfeift. Der Herbst ist eine „grundehrliche“ Jahreszeit. Da weiß man, woran man ist.
Aus einem weiteren Grund schätze ich diese Wochen: Im Herbst blicke ich zurück. Der größte Teil des Jahres liegt hinter mir. Ich habe viel erlebt, ich habe viel getan und viel erreicht. Und hoffentlich können andere und ich von mir sagen, dass ich verantwortlich gehandelt habe an Gottes Schöpfung und an meinen Mitmenschen.
Im Herbst blicke ich auch nach vorne. Eigentlich blicke ich nach oben. Denn was der Herbst zu bieten hat, geschieht über mir: Der Zug der Vögel nach Süden, das Spiel der Wolken, der Kampf zwischen Tag und Nacht, der rote Abendhimmel ... Ich bekomme ein Gefühl dafür, dass sich mein Leben nicht darin erschöpft, zu leben und gut zu wirtschaften. Am Ende kommt es nicht darauf an, dass ich etwas aus mir gemacht habe, sondern dass ich die tiefe Wahrheit erkenne, die in dem Psalmwort steckt: „Herr, deine Gnade reicht, so weit der Himmel ist und deine Treue, so weit die Wolken gehen“.
Burkhard Stimpel, Pastor an der Johannis-Kirche in Uslar