Fallschirme in die Freiheit
Ich schreite unser Wohnzimmer ab. Circa 7,00 mal 3,50 Meter. Ungefähr so groß wie der Gefängnishof. 7,20 mal 4,80 Meter misst der Hof der Strafvollzugsanstalt Silivri in der Türkei. Hier war der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner inhaftiert, hier ist er gelaufen, Runde um Runde.
Dabei flüchtete er sich in Tagträume. Seine Gedanken stiegen die Gefängnismauer hinauf. Sie fanden ihren Weg über den Stacheldraht hinweg. 2123 Kilometer weit bis nach Deutschland. Hier sangen und beteten Abend für Abend Menschen in seiner Kirchengemeinde. Bischof Markus Dröge klagte dort in der Gethsemanekirche an: "Ein Mann, der sich friedfertig für Gerechtigkeit einsetzt, wird dafür inhaftiert. Das schreit zum Himmel!"
Peter Steudtner lief. Runde um Runde. Immer wieder 7,20 plus 4,80 Meter. Daraus wurde ein Halbmarathon. Dabei stellte er sich vor, seine Tochter in die Kita zu bringen. Oder mit ihr ein Eis zu essen. Oft flogen Samen von Pusteblumen zu ihm über die Gefängnismauer – wie kleine Fallschirme. Und in den Tagträumen, so erzählte er in einem Interview, hingen keine Samen an den Fallschirmen sondern Botschaften: „Du schaffst das“ oder „Ich mag dich“. Nach 133 Tagen im Gefängnis wurde er im Oktober entlassen.
Ich stelle mir vor: Der Fallschirm einer Pusteblume flog zurück über die Mauer, dem Himmel entgegen. An ihm hing ein Zettel: „Steh mir bei, Gott, verschaffe mir Recht! Denn du bist der Gott meiner Freiheit. P. St.“
Elsa Höffker, Pastorin der Kirchengemeinden Dassensen-Wellersen und Iber-Odagsen in der Region Leinetal-Ahlsburg