Eine seltsame Kirchturmuhr
oder
Mehr als eine tickende Uhr
Oder
Zeit für Freiräume
von Jan von Lingen, Superintendent in Northeim
Seltsam. Ich muss zweimal hinschauen. Jene Kirchturmuhr ist anders als alle anderen. Denn die beiden Zeiger deuten nicht auf Zahlen wie 1 oder 12, sondern auf Buchstaben wie Z oder G. Beim Blick auf die Kirchturmuhr zähle ich nach: es sind genau zwölf Buchstaben. Ich schaue genauer hin und entdecke schließlich einen sinnvollen Satz: „Zeit ist Gnade“ steht da oben auf dem Zifferblatt. Die beiden Uhrzeiger deuten bei ihren Runden auf diese Worte.
Es ist Januar. Wir blicken auf das Jahr vor uns. Wir nehmen uns etwas vor, planen und tragen Termine in den Kalender ein. Die Zeit ist etwas, das wir füllen und planen. Dabei vergessen wir oft, woran uns die ungewöhnliche Kirchturmuhr erinnert. Zeit hat noch eine ganz andere Dimension: „Zeit ist Gnade“.
Das ist gut biblisch. Denn es gibt im griechisch verfassten Neuen Testament zwei Worte für Zeit: „Chronos“ ist die Zeit der vergehenden Stunden und Tage. Daneben gibt es das Wort „Kairos“, zum Beispiel, wenn Jesus einem Menschen begegnet und ihn heilt. Ein „Kairos“ ist etwas ganz anderes als eine tickende Uhr, die uns die vergehende Zeit vor Augen führt. Ein „Kairos“ ist ein schöner und besonderer Moment, der das Leben bereichert.
„Zeit für Freiräume“ heißt es in diesem Jahr in der evangelischen Kirche. Viele Kirchengemeinden greifen dieses Jahresthema mit Veranstaltungen und Gottesdiensten auf. Der Gedanke ist einfach: Wir wollen den Alltag „entschleunigen“, uns auf Neues einlassen und bewusst Zeit miteinander verbringen. Ich wünsche Ihnen in diesem Jahr viele „Kairos“-Momente, die aus dem Alltag herausragen wie ein Freiraum.