Als Waldläufer im Schlosspark
Zusammen mit einem Piraten und einer Magierin in rotem Leinenkleid sitze ich auf Strohballen im Schlosspark und lausche der Musik. Sie kommt von der Bühne an der Seite. Mein Blick schweift umher. Vor der Bühne stehen zwei gefährlich aussehende Hünen. Sie tragen abwechselnd ein Mädchen auf ihren Schultern. An der Drachentränke bestellt gerade ein Ritter sein Honigbier. Beim Fleischbräter steht ein Elb mit (s)einer Amazone. Beide essen einen Zyklopenspieß. Vor uns laufen zwei Jungs in Tunika umher und spielen im Stroh mit goldenen Bällen. Dahinter taucht der Vater in Orkrüstung in meinem Blickfeld auf. Er trägt sein Baby vor dem Brustpanzer im Tragetuch durch die Menge. Ich rutsche vom Strohballen herab, versinke im Gras und schließe die Augen. Kraft tanken und den Moment genießen.
In einem Lied heißt es: „Du stellst meine Füße auf weitem Raum. Deine Liebe weitet meinen Horizont. Kann mich frei entfalten wie ein schöner Baum, der in deinem Lichte wächst, gedeiht, sich sonnt.“ Der Pirat ist ein guter Freund, der bald zum ersten Mal Vater wird. Die Magierin ist meine Tochter. Ab August geht sie zur Schule. Ich werde nach meinem Urlaub ab Dienstag wieder am Schreibtisch sitzen und spätestens am Freitag wieder den Talar tragen.
Aber jetzt gerade ist das alles egal. Als ich das Gelände betrat fiel der Alltag von mir ab. Wir alle sind hier, um uns eine Auszeit zu gönnen und die Atmosphäre aufzusaugen. Was uns verbindet ist die Freude, in diese mittelalterliche Welt einzutauchen und der Kreativität freien Lauf zu lassen – nicht authentisch, sondern phantastisch. Deswegen sitze ich hier in Gewandung mit Lederköcher auf dem Rücken. Als Waldläufer im Schlosspark. Das ist mein Freiraum im Jahr der Freiräume.
Wo ist ihr Freiraum?