Licht in die dunkle Welt bringen
In einem Tümpel wohnen eine Libellenlarve und ein Blutegel. Der Tümpel ist ihre Welt. Beide kennen keine andere Welt als diese. Aber manchmal schwimmt die Libellenlarve an die Oberfläche und beobachtet. Sie ist nicht unzufrieden mit ihrem Tümpel, schließlich kennt sie ja nichts anderes. Aber etwas Besseres könnte sie sich schon vorstellen. Und wenn sie nach oben schaut, sieht sie Licht, sich bewegende Schatten und eine Andeutung von Farbe.
Als sie wieder einmal den Blutegel trifft, spricht sie ihn an: „Ich glaube, da oben ist noch etwas anderes. Da gibt es noch etwas - außerhalb unserer Tümpel-Welt.“
Der Angesprochene reagiert mürrisch: „Das kann gar nicht sein. Glaub einem erfahrenen Blutegel. Ich habe manchen Weg dieser Welt durchschwommen. Außer uns gibt es nichts. Dieser Tümpel ist die Welt. Mit Unrat, Problemen, Hässlichkeit, Kampf ums Überleben. Hier musst du dich behaupten und durchwursteln und anderen auch mal das Blut aussaugen. Sonst gehst du unter.“
„Aber ich habe doch Schatten gesehen und Licht und Farbe“, beharrt die Libellenlarve.
„Quatsch! Das sind doch Hirngespinste. Außer uns gibt es nichts!“
Wie den Beiden geht es Menschen. Da sind die einen, die nur das kennen, was sie anfassen und sehen können. Die sind zwar nicht zufrieden mit ihrer Welt. Aber das es auch anders sein könnte, das ist für sie ein nutzloses Hirngespinst. Und Gott? Eine Erfindung der Kirche. Selbst wenn er das nicht sein sollte, kann man sich nicht auf ihn verlassen.
Gott hat sich selbst den Menschen vorgestellt als der, der das Licht ist. Wer sich auf ihn einlässt, hat Anteil an dem Licht. Wer Licht gesehen hat und Formen und Farben, der trägt die Erinnerung daran mit sich. Auch wenn er sich in dieser trüben Welt aufhält. Und er trägt dazu bei, dass das Licht Gottes ein bisschen mehr Helligkeit und Kontur in diese dunkle Welt bringt.
Wolfgang Bauer