Augen auf!
Jacke aus, Schuhe aus, Arbeitstasche in die Ecke, kurz etwas essen, Fernseher an. Liveticker: Nawalny kritisiert Alt-Kanzler Schröder, Corona, Extremismus … Polizei, Moria, Fridays fo - ich schalte um.
Promiflash: Star-Friseur Udo Walz im Rollstuhl. Entwarnung, nur ein Pediküre-Unfall. Nächste Meldung: Bohlen mit klaren Worten für DSDS-Juror Michael Wendler. Umschalten.
„Das darf doch nicht wahr sein“, platzt es aus laut mir heraus. Da wurden doch gerade Ex-„Bachelor“ Andrej Mangold und Freundin Jennifer ausgerechnet von Erz-Feindin Eva aus dem Sommerhaus gekickt!
Eine Stunde später schalte ich den Fernseher aus und habe im „Sommerhaus der Stars“ alles gesehen, was dieses Format bieten kann: Mobbing, Alkoholismus, Demütigung und Menschen, die sich anspucken.
Ich gebe zu, ich habe eine Schwäche für Trash-TV und rechtfertige mich dafür gerne mit dem wissenschaftlichen Ansatz unserer ureigenen sozialen Natur. Vor tausenden Jahren war es überlebenswichtig zu wissen, wie sich Menschen in Sozialverbänden bewegen, taktieren, positionieren, solidarisieren, Strategien entwickeln. Davon übriggeblieben ist meine Neugier, genau das zu beobachten. Nur, dass es jetzt nicht ums wirkliche Überleben geht, sondern um Prominente, deren Beruf es ist, in diesem Format zu (über)leben.
Als ich ins Bett gehe, bete ich. Ich bete, dass Gott meine Augen für das öffnet, was ich heute nicht gesehen, ausgeblendet habe. Dass Gott mir hilft, dort hinzuschauen, wo Menschen Angst vor dem nächsten Morgen haben, wo ausgegrenzt wird, wo Unrecht geschieht - an den europäischen Außengrenzen, genauso wie in meinem fernen und näheren Umfeld. Ich bete, dass ich Mut zum Handeln bekomme, als Christin Verantwortung übernehme und vielleicht ein bisschen weniger neugierig die unzähligen Trash-Formate verfolge.
Julia Grote
KJD - Kirchenkreisjugenddienst Leine-Solling Kirchenkreisjugendwartin