oder: Vor dem Angesicht Gottes stricken
Betet, so heißt der Name des morgigen Sonntags auf Deutsch. Beten bedeutet, mit Gott im Gespräch zu bleiben. Das kann auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Manche beten nach dem Aufstehen oder vor dem Essen. Oder vor dem Schlafengehen. Mönche und Nonen beten sieben Mal am Tag. Die Brüder in Taizé beten mit ihren charakteristischen Gesängen - und mit einer langen Stille.
Das Schweigen ist eine besonders zu bevorzugende Form des Gebets. Der frühere russisch-orthodoxe Bischof für England, Metropolit Anthony, berichtet, dass ihm einmal eine ältere Dame von ihren Schwierigkeiten mit dem Beten erzählte: „Vierzehn Jahre lang habe ich fast ununterbrochen gebetet, aber nie habe ich das Gefühl von der Gegenwart Gottes gehabt.“ sagte sie. „Haben Sie ihm Gelegenheit gegeben, ein Wort einzuwerfen“, fragte Metropolit Anthony sie. „Wie das“, fragte die Frau. „Ich habe die ganze Zeit zu ihm gesprochen, ist das nicht etwa Beten?“ „Nein“, sagte der Metropolit, „das glaube ich nicht. Ich empfehle Ihnen, sich täglich eine Viertelstunde Zeit nehmen sollten, in der sie einfach dasitzen und vor dem Angesicht Gottes stricken.“ So machte die Frau es. Und schon bald kam sie wieder und sagte: „Es ist ganz merkwürdig. Wenn ich zu Gott spreche, fühle ich nichts, doch wenn ich still dasitze, ihm gegenüber, dann fühle ich mich in seine Gegenwart gehüllt.“
Beten bedeutet, mit Gott im Gespräch zu bleiben. Und auf ihn zu hören. Also vor ihm zu schweigen. Oder auch zu stricken.
Harald Möhle, Pastor der Michaelis-Kirchengemeinde im Rhumetal (Berka, Elvershausen, Hammenstedt und Marke)