Vogelbeck

Foto: Jan von Lingen

Foto: Yvonne Guschke-Weinert

Foto: Yvonne Guschke-Weinert

Orgel

Foto: Jan von Lingen

Kindergottesdienst

Kindergottesdienst

Eine Heerschar gegen einen wehrlosen Mann

05. April 2023

Ein Fensterbild erzählt von Unheil und Heil im Garten Gethsemane

von Jan von Lingen

Seit einem halben Jahrtausend zeigen die Passionsfenster in der St. Sixti-Kirche in Northeim Szenen aus der Passionsgeschichte. Bei Untersuchungen im Jahre 2011 wurde deutlich: Die vier Malereien des Passions-Zyklus gehören zu den bedeutendsten Werken der monumentalen Glasmalerei dieser Zeit im Norddeutschen Raum. Datiert werden sie aufgrund der Herstellungs-Inschrift in der Szene der Kreuztragung um 1478. Nach ihrer „Wiederentdeckung“ wurden die wertvollen Fensterbilder restauriert und kehrten nach der Renovierung der Kirche im Jahr 2021 zurück. Eines der vier Großbilder zeigt die Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane.

Wie viele Soldaten braucht es, um einen unbewaffneten Mann festzunehmen? Eine kleine Heerschar, so zeigt es das Bild der Gefangennahme Jesu. Die Soldaten sind aus der Stadt Jerusalem gekommen und im Garten Gethsemane einmarschiert. Die Männer sind angerückt mit Schwertern, Spießen, Fackeln, sogar mit Pfeil und Bogen. In ihren mittelalterlichen Rüstungen und prächtigen Gewändern kesseln sie den Mann in der Mitte regelrecht ein. Dieser steht barfuß und im schlichten Gewand auf einem grünen Rasen vor einem geflochtenen Zaun. Er hat die Hände als Zeichen des Friedens geöffnet.  Eine seltsame Ruhe geht von Jesus aus, als könne ihm der Tumult nichts anhaben.

Die Augen sagen, worum es geht

Die Blickrichtungen zeigen, worum es geht. Der Mann, der Jesus umarmt und küsst, ist Judas, der Verräter. Er blickt zu Jesus, verschlagen und boshaft. Petrus, der sein Schwert in Händen hält, blickt ebenfalls zu Jesus, geradezu eindringlich und flehentlich. Jesus blickt aber weder zu dem Einen noch zu dem Anderen. Er würdigt auch den Kampftrupp mit keinem Blick. Seine Augen ruhen auf dem Mann am Boden. Dieser ist verletzt. Ein Blick voller Mitgefühl. Die Augen sagen, worum es geht: Um Heil und Heilung mitten im Unheil.

Ein Verletzter braucht Hilfe

Am Boden kniet ein Knecht des Hohepriesters. Seine Laterne ist zu Boden gestürzt, er hält sich den Kopf. Blut strömt aus der Stelle am Kopf, wo sein Ohr sein sollte. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt und kreidebleich. Ein Schrei entfährt seinem Mund.
Angegriffen wurde der Knecht durch Petrus. Dieser verstaut nach seinem Angriff auf

Foto: Restauratorin Nicole Sterzing

den Knecht das Schwert in der Scheide. So kennen wir Petrus. Aufbrausend, gefühlvoll, emotional. Ein Fels in der Brandung, sagen die einen. Ein Sturkopf, der mit dem Kopf durch die Wand will, sagen die anderen.
Mit Soldaten hat er eigentlich nichts zu schaffen. Seine Welt ist der See Genezareth. Als er noch Fischer war, traf er Jesus und verlor Hals über Kopf sein Herz. Petrus stieß vom Ufer seines Alltags ab und kehrte nicht mehr in sein altes Leben zurück. Und er tauschte Wind, Wasser, Weite gegen staubige Straßen, belebte Marktplätze und dunkle Synagogen. Seine „Lebensnetze“ füllten sich statt mit Fischen mit Glaube, Hoffnung und Liebe. In Erinnerung geblieben ist sein großes Bekenntnis: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Alles würde er für Jesus tun: ja, sogar sterben.

Petrus zieht das Schwert

Ist es ein Wunder, dass er nun bei der Festnahme mitten in der Nacht das Schwert zieht? Waffengeklirr erfüllt den Garten. Petrus ist der Erste und der Einzige, der Jesus verteidigen will.

Foto: Restauratorin Nicole Sterzing

Ganz allein stemmt er sich gegen die Übermacht. Ein Hieb mit dem Schwert - und der Knecht liegt am Boden.
Lass ab, nicht weiter, sagt Jesus. Mitten im Aufmarsch der Soldaten, im Kessel der Festnahme, wendet sich Jesus dem Verletzten zu. Und dieser Verletzte schaut zum Betrachter des Bildes, als wolle er sagen: „Seht her! - Das ist meine Geschichte mit Jesus.“ - Davon berichtet das Lukasevangelium: „Und Jesus rührte sein Ohr an und heilte ihn.“
Wie in einem angehaltenen Film hält dieses mittelalterliche Fensterbild diesen Moment fest. Es gibt nichts Wichtigeres. Mitten im Unheil geschieht Heilung und Heil. Auch das ist Teil der Passionsgeschichte.