Viele Gemeinden laden zu Bildbetrachtungen ein
Kirchenkreis Leine-Solling. Die Geschichte liebt die unwahrscheinlichsten Geschichten. Von der Öffentlichkeit unbemerkt wurde bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts in der Kirchengemeinde Iber das Abendmahl mit einem Kelch gefeiert, der – wie sich zeigte – nicht nur als einer der ältesten Abendmahlskelche in der Landeskirche Hannovers gilt, sondern zugleich ein Meisterstück romanischer Goldschmiedekunst ist. „Er dürfte in den Jahrzehnten zwischen 1180 und 1220 mutmaßlich in Hildesheim gefertigt sein“, berichtet Pastor Jan Höffker, der eine neue Broschüre zu dem romanischen Kunstwerk veröffentlicht hat. Neue hochauflösende Fotos ermöglichen dabei einen genauen Blick auf die kunstfertige Goldschmiedearbeit. Ein gemeinsames Kunstprojekt des Kirchenkreises Leine-Solling stellt einen Teil jener bedeutenden Goldschmiedearbeit, das sogenannte Passionsmedaillon nun der Öffentlichkeit vor. Die Fotos sind in der neuen Broschüre veröffentlicht, die an Gründonnerstag und Karfreitag in vielen Gottesdiensten verteilt werden.
„Zwei Medaillons auf dem Kelch zeigen Szenen aus der Passionsgeschichte“, erklärt Pastor Jan Höffker: „Zu sehen sind Menschen unter dem Kreuz, an dem Jesus stirbt. Maria, die trauernde Mutter, umgreift die Hände ihres toten Sohnes. Sie ist als frühe Pietà dargestellt. Zwei ältere Männer nehmen den Toten vom Kreuz, ziehen ihm die Nägel aus den Wunden und hüllen den Leib in Tücher – eine letzte Geste der Würde, die dem Toten gebührt.“ Sie alle sind von einem Heiligenschein umkränzt und gut erkennbar. Eine Besonderheit dieser Darstellung: Über dem Kreuzes weinen die Engel um den Christus, dessen Haupt auch im Tod noch von einem Heiligenschein umkränzt ist.
Bis heute ist der Abendmahlskelch im Besitz der Kirchengemeinde Iber-Odagsen. Aufgrund seines hohen Alters sowie des begnadeten Kunsthandwerks eines mittelalterlichen Goldschmiedemeisters steht der Kelch allerdings seit den 1980er Jahren im Kestner-Museum in Hannover. Das Museum hat den Kelch in neuer Weise fotografieren lassen und die Bilder dem Kirchenkreis für den Druck zur Verfügung gestellt.
Fotos: Landeshauptstadt Hannover, Museum August Kestner
Zu Bildmeditationen über die Motive laden folgende Gemeinden herzlich ein:
Allershausen, Karfreitag, 10 Uhr
Avendshausen, Gründonnerstag beim Tischabendmahl, 18 Uhr
Dassensen, Karfreitag, 11 Uhr
Delliehausen, Karfreitag, 11 Uhr mit Abendmahl
Eschershausen, Karfreitag, 11 Uhr
Gillersheim, Gründonnerstag beim Tischabendmahl, 19.30 Uhr, erst Chorprobe, anschl. Abendmahlsfeier.
Großenrode, Karfreitag, 16.30 Uhr
Hullersen, Gründonnerstag, 18 Uhr
Imbshausen, Gründonnerstag beim Tischabendmahl im Pfarrgemeindehaus, 18 Uhr
Langenholtensen, Karfreitag, 10.30 Uhr
Northeim, St. Sixti-Kirche, Karfreitag, 10 Uhr
Odagsen, Karfreitag, 9.30 Uhr
Salzderhelden, Karfreitag im Pfarrsaal, 10.45 Uhr
Stöckheim, Gründonnerstag beim Tischabendmahl Kirche, 18 Uhr
Stöckheim, Karfreitag, 15 Uhr
Verliehausen, Karfreitag, 15 Uhr mit Abendmahl
Vogelbeck, Gründonnerstag beim Tischabendmahl um 19.30 Uhr
Zur Geschichte des Niello-Kelches
von Jan Höffker
Erst in den 50er Jahren des vorherigen Jahrhunderts ist dem Kunsthistoriker Johannes Sommer aufgefallen, dass in der Kirchengemeinde Iber in all den Jahrhunderten das Abendmahl mit einem Kleinod von höchster kunsthistorischer Bedeutung vom katholischen Priester und später vom evangelischen Pastor eingesetzt wurde. Sommer renovierte damals zusammen mit Pastor Brandis die Kirche in Iber. Dabei machte er eine Inventur der „Vasa Sarca“, der heiligen Geräte. Bei der Überprüfung des Abendmahlskelchs wird er das hohe Alter festgestellt haben. Seine Entdeckung hat er in einem viel beachteten Beitrag in der Berliner Zeitschrift für Kunstwissenschaft 1957 einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgestellt.
In jenem Beitrag hat Johannes Sommer den Kelch als erster einer eingängigen Untersuchung unterzogen und ihn eingezeichnet in die „kleine Szene“ niedersächsischer Goldschmiedekunst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Seine Datierungen wie auch die relative Chronologie der Entstehung des Kelches blieben in der Forschung der nachfolgenden Jahrzehnte strittig, nichtsdestotrotz dürfen die Jahrzehnte zwischen 1180 und 1220 als historisch wahrscheinlich für die Entstehungszeit des Kelchs von Iber angenommen werden. Ein stattliches Alter - das den Kelch zu einem der ältesten Kelche der Landeskirche Hannovers macht; die Kunstfertigkeit des Goldschmieds macht ihn ferner zu einem Meisterstück aus der Stilepoche der Romanik.
Seit dem Wirken Johannes Sommers wusste die Kirchengemeinde Iber also, dass sie Abendmahlsgeräte besaß, die dem höchsten Standard der Goldschmiedekunst der damaligen Zeit des auslaufenden 12. Jahrhunderts entsprachen und wahrscheinlich von einem großen Hildesheimer Meister angefertigt wurden. Das wird die Küsterin dieser Jahre sicher nervös gemacht haben, denn diese habe - so eine gern erzählte Anekdote - sicherlich mit den besten Absichten „das schwarze Zeug“, also die so genannte „Niellierung“ des Kelches, mit allerlei Putzmitteln bearbeitet, damit es abginge und der Kelch wieder in ungetrübter Reinheit erstrahle. Aber der mittelalterliche Goldschmied hat offenbar so sauber gearbeitet, dass die Niellierung der Putzwut der Küsterin widerstand. Seit den Arbeiten Johannes Sommers war man sich der Güte der Ausführung jener Niellierung bewusst, die dem Kelch dann auch seinen Namen eintrug: „Der Niello-Kelch von Iber“.
Das so genannte „Niellieren“ ist eine Technik zum Verzieren von Metallen. Dabei wird eine schwarze Masse aus Silber, Kupfer, Blei und Schwefel zusammengeschmolzen und pulverisiert. Diese Masse presst man danach in die eingravierten Vertiefungen der Metalloberfläche und poliert sie ausgiebig. Durch den Hell-Dunkel-Kontrast wird eine Tiefe erzeugt. Nach Johannes Sommer war diese Technik im 12. Jahrhundert in Niedersachsen sehr beliebt, insbesondere die verspielte Ausfertigung des Rankenwerkes sei eine Eigenart niedersächsischer Goldschmiedekunst und beim Niello-Kelch besonders kunstvoll ausgeführt, dies zeuge „von einer ungewöhnlichen Beherrschung“ dieser Goldschmiede-Technik. Der Goldschmied des Niello-Kelchs war also ein echter Meister seines Faches. Da die „Ibermänner“ (Johannes Letzner, Chronist aus dem 16. Jahrhundert) im Hochmittelalter Beziehungen nach Hildesheim hegten - möglicherweise war ein „Werner de Ibere“ Kanoniker im Hildesheimer Kreuzstift -, nimmt man an, dass die Goldschmiedewerkstatt sich in Hildesheim befand.
So ein Fund weckt natürlich Begehrlichkeiten: Das Landeskirchenamt bemerkt spitz und mit Tadel: „Seit einiger Zeit scheint der örtliche Kirchenvorstand von dem Gedanken erfüllt zu sein, die Altargeräte für viel Geld zu veräußern.“ Das Landeskirchenamt empfiehlt nachdrücklich, den Kelch in ein Museum zu verbringen. Und so kam es dann ja auch: Der damalige Kirchenvorstand erlag doch nicht den Verlockungen des Geldes. Der Kelch ist seit nunmehr einigen Jahrzehnten sicher im Kestner-Museum in Hannover verwahrt - unterbrochen von einschlägigen Ausstellungen, die ihn zeigen als das, was er ist: Der Niello-Kelch von Iber, ein Zeugnis der Macht derer zu Iber, ein Zeugnis mittelalterlicher Frömmigkeit und vor allem ein Zeugnis großer Goldschmiedekunst.
Zum Autor: Jan Höffker ist Evangelischer Pastor in der Trinitatis Kirchengemeinde Leine-Weper und Doktor der Theologie im Fach Kirchengeschichte. Neben der „kleinen Broschüre“ für die Bildbetrachtungen in den Gottesdiensten wird es außerdem eine umfassende Broschüre zum Spätsommer geben.