Vogelbeck

Foto: Jan von Lingen

Foto: Yvonne Guschke-Weinert

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Orgel

Foto: Jan von Lingen

Kindergottesdienst

Kindergottesdienst

Wort zum Sonntag, EM am 29.10.2022

27. Oktober 2022

Kraftquelle in Krisenzeiten

 

In diesen Tagen wird auf der Wartburg, in Eisenach und im ganzen reformatorischen Raum Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche zum 500tsten Mal gedacht.

Was Martin Luther zu diesem bahnbrechenden Werk der Bibelübersetzung angetrieben hat, lässt er 1538 während eines seiner berühmten Tischgespräche verlauten: „Vor dreißig Jahren las niemand die Bibel, sie war so gut wie unbekannt. Als ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich noch keine gelesen!“

 

Bis heute gilt, dass Luthers Bibelübersetzung als „Geburtsstunde der Deutschen Sprache“, Ursprung der Aufklärung und Quelle religiöser Emanzipation verstanden wird.

Da stellt sich zurecht die Frage, was von der geistigen Kraft der Worte Martin Luthers heute noch zu spüren ist.

 

Spätherbst 1521 bringt Philipp Melanchton seinem Freund die Originaltexte des Neuen Testamentes in Griechisch und Latein auf die Wartburg. Dort lebt Martin Luther bereits seit dem 4. April unter dem Decknamen Junker Jörg. In nur elf Wochen gelingt ihm die Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche.

 

Mit Luthers Rückkehr nach Wittenberg übernimmt Melanchton die Textkritik und Korrektur des Manuskripts, um die Texttreue der Übersetzung zu sichern. Melanchton, als Griechisch-Experte und Professor für Altgriechisch an der Universität Wittenberg, nimmt sich pflichtbewusst der Übersetzung Luthers an. Bekannt ist, dass sich die beiden Freunde um jedes Wort gestritten haben.

Um nicht verletzend zu wirken, soll Melanchton gesagt haben, „Du sollst wissen, Martinus, es geht mir nur ums Griechische!“ Daraufhin Luthers prompte Antwort: „Mir geht‘s nur ums Deutsche!“

  

Die Umstände, die Martin Luther zum Handeln antrieben, sind ähnlich den unsrigen. Das Leben der Menschen war damals von Armut, Hunger, Krieg und Existenzängsten bedroht. Sie waren bereit, alles zu geben, um ihr Leben zu erhalten. Koste es, was es wolle.

 

In diesem Überlebenskampf der Menschen erinnert Luther an das lebenserhaltende Wort Gottes. Ob Jesu „Goldene Regel“ (Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Mt 7,12), die Bergpredigt, das Liebesgebot, oder die Stellung zum Nächsten und zur Ehelosigkeit, sie alle sollen in der eigenen Sprache zugänglich sein.  Um zu wissen, was man glaubt. Ja, die „Freiheit eines Christenmenschen“, die schreibt Martin Luther ganz groß, um dann aber auch den mündigen Menschen ganz stark in die Verantwortung zu nehmen.

 

Spätestens an diesem Punkt sind wir ganz Ohr. Denn genau an dieser Stelle fehlt es dem heutigen Menschen an Emanzipation. Haben will jeder, sich aber den Folgen des Raubbaus an der Natur, an der Demokratie und am Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stellen, will kaum einer. Lesen und Wissen, worauf es ankommt, bedeutet gleichzeitig Verantwortung übernehmen und sich nicht klein wegducken, wenn Konsequenzen gefragt sind.

 

In diese Krisis hinein ertönt nun Gottes Wort in unserer Muttersprache als Einladung zur Umkehr. Der mutige Ruf des Reformators will auch heute wecken und wachrütteln, will hinterfragen und ermutigen all jene, die sich mit dem status quo nicht abfinden, nicht blind weitermachen und weiterrennen wollen.

 

„Nimm und lies“ in deiner Sprache von dem Zeugnis rettender Taten Gottes. Du bist gemeint. Es gilt dir, der du danach fragst. Gilt allen, die nach Liebe hungern, nach Gerechtigkeit dürsten und nicht alternativlos leben wollen. Denn für Martin Luther und seine Erben steht eines fest: Gottes Wort ist eine unversiegbare Quelle der Weisheit und Erkenntnis, die ins Leben führt.

Hans-Dieter Scheipner

Pastor im Kirchenkreis Leine-Solling

Pastor Hans-Dieter Scheipner