L’Chaim – auf das Leben!
Ich erinnere mich an meinen Professor im Fach Neues Testament, der uns damals an der Uni von der großen Lebensfreude im Judentum erzählt hat: „Wer Jesus näherkommen will“, hat er gesagt, „muss sich im Judentum gut auskennen, denn Jesus selbst war Jude und hat diese Lebensfreude jüdischer Menschen gelebt. Wenn Jesus mit seinen Freunden gefeiert hat, hat er wahrscheinlich mit 'L'Chaim' angestoßen. Also, wer Jesus näherkommen will“, so schloss unser Professor seine Vorlesung, „der muss sich ab und zu mit ‚L’Chaim‘ zuprosten.“
Natürlich wollten wir Theologiestudierenden Jesus näherkommen, ist ja klar. Und so sagten wir uns abends in der Studentenkneipe: Machen wir’s wie Jesus und stoßen aufs Leben an. Nichts anderes bedeutet ‚L’Chaim‘.
Unser „Prost!“ – auf Deutsch: Es möge nützen – ist auch schon ganz schön. Aber „L’Chaim – auf das Leben!“ gefällt mir noch ein bisschen besser.
Am morgigen Sonntag wird in über dreißig Ländern der „Europäische Tag der jüdischen Kultur“ begangen. Dieser Gedenktag möchte dazu beitragen, das europäische Judentum, seine Geschichte, seine Traditionen und Bräuche besser bekannt zu machen. In diesem Jahr lautet das Motto: Erinnerung.
Ich erinnere mich an die Geschichte jüdischer Menschen in Europa, die seit jeher mit Verfolgung verbunden ist, seit dem Mittelalter bis auf den heutigen Tag. Und trotzdem haben so viele jüdische Menschen auch in finstersten Zeiten ihre Fröhlichkeit, ihren Gesang, das Tanzen nicht verlernt und immer wieder auf das Leben angestoßen.
Von dieser Freude am Leben könnten wir uns eine dicke Scheibe abschneiden, nicht nur an diesem Wochenende.
„L’Chaim – auf das Leben!“, das ist eben mehr als ein Trinkspruch. Es ist die Hoffnung und die Mahnung, dass sich das Leben durchsetzt. Daran möchte ich mich immer erinnern.
Bleiben Sie neugierig!
Ihr
Daniel Konnerth,
Pastor in der Ev.-luth. Kirchengemeinde Einbeck