Ausgesetzt in Zorneding, friedlich geblieben
Da stehen wir nun im Münchener Nieselregen. Eine Stunde, zwei Stunden - den Kindern und mir kriecht die Kälte langsam an den Beinen hoch. Aber es dauert nun mal, bis eine S-Bahn voller Menschen in Großraum-Taxis verladen ist. Stellwerkschaden - nichts geht mehr. Ausgesetzt in Zorneding im Münchner Süd-Osten mit vielen anderen Reisenden versuchen wir die Umgangsformen beim Verteilen der wenigen Ersatzverkehr-Taxis zu wahren. Meist gelingt das sogar.
„Wollt Ihr mit?“ Ich blicke noch ins Rot der Rückleuchten eines davonfahrendes Taxis, als er uns anspricht. Ein Mann mittleren Alters, ungewöhnlich großer Rucksack, grobe Wanderstiefel - und hinter ihm ein leeres Großraum-Taxi! „Wir teilen uns die Kosten?“ „Sehr gern!“
Ich darf unserem Retter gegenübersitzen. Bis zur U2 in Richtung Hauptbahnhof ist es noch eine ganze Zeit. Und so reden wir. Erst freundlich interessiert, woher uns denn unsere Wege bis nach Zorneding führten - er ist wirklich nett, bietet unseren Töchtern sogar einen Apfel an -, dann aber immer auch mit eingeworfenen politischen Spitzen, die auch ein wenig Verschwörung wittern. Auf einmal ist er mir wieder fremder. Aber wie - in diesem Rahmen - reagieren? //
Ich weiß nicht, was ihn zu seinen Positionen und Meinungen führte, aber er hat uns geholfen, war sehr nett. Wir waren nett - ganz ungezwungen. Und vielleicht ist das auch schon sehr viel, wenn man aus zwei Welten zu kommen scheint. Ich dankte jedenfalls, wünschte ihm alles Gute und wünsche uns, dass wir das auch geschafft hätten, wenn wir einander offen widersprochen hätten.
Jan Höffker, Pastor in der Kirchengemeinde Leine-Weper