Kriegsverbrechen beim Namen nennen
Cordula ist gerade in der Wohnung und legt die Wäsche zusammen. Plötzlich kracht es. Die Fensterscheiben brechen, eine Schuttwolke rauscht durch die Wohnung und überzieht alles mit ihrem Grau. Cordula kommt zu sich und läuft hinaus in den Garten: „Helga! Alfred!“ Dort, wo noch vor einer Minute die Kinder spielten, ist nun ein tiefer Trichter mit einem Schuttberg wie ein Deich. Cordula gräbt, bis ihre Hände blutig sind. Nach einer Stunde hält sie Helga und Alfred in ihren Armen. Beide Kinder starben beim amerikanischen Bombenangriff auf Fredelsloh am 28. März 1945.
Kurt kann seine Tränen nicht zurückhalten. Am 9. April steht er in Häftlingskleidung an der Hauptstraße und sieht die amerikanischen Panzer in Moringen einfahren. Die Soldaten verteilen Süßigkeiten an die Kinder. Die kleine Gruppe der Häftlinge irritiert die Umstehenden. Jahrelang zogen die Arbeitskolonnen aus dem Jugendschutzlager durch den Ort. Wie werden die Amerikaner reagieren, wenn sie diese Geschichten hören?
Zwei Gedenktage prägen das Erinnern in unserer Kleinstadt. Mit 80 Jahren Abstand wächst der Mut, Leid nicht gegeneinander auszuspielen. Beides waren Kriegsverbrechen. Die Deportation von Jugendlichen aus ganz Europa ins Jugend-KZ nach Moringen genauso wie der Bombenangriff auf ein rein ziviles Ziel.
Es wäre ja auch seltsam, wenn die Guten im Krieg nicht dreckig werden. Krieg führt immer zu Gewalt und Unrecht. Am Ende bleibt nur der Mut zur Versöhnung. Gerechtigkeit nach einem Krieg bleibt Illusion, zu viele Unschuldige ließen ihr Leben.
Matthias Lüskow, Pastor in der Kirchengemeinde Leine-Weper