Stark!
Alt und schwach. So sehen sie aus, die Menschen, die im Altersheim um die Tische sitzen. Manche haben nicht einmal mehr die Kraft, ihren Kopf zu halten. Die Dame neben mir braucht ihre volle Konzentration, um etwas zu trinken. Wie in Zeitlupe schließen sich ihre zittrigen Finger um den Becher und führen ihn zum Mund. Die Flüssigkeit im Becher schwappt bedrohlich hin und her.
Dann fängt sie an zu erzählen. Ihre Sprache ist so langsam wie ihre Finger. Manchmal scheint ihr Blick nach innen zu gehen, während sie sich erinnert. An ihre Kindheit. An die Flucht. Auf der alle starben. Die Großmutter, die Mutter. Übrig blieben nur sie und ihre kleine Schwester. Die anderen Erwachsenen auf dem Treck waren viel zu sehr mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt, um sich um sie zu kümmern. Also hielt sie die kleine Schwester im Arm, wenn sie nachts vor Hunger nicht schlafen konnte.
Wie alt sie denn da gewesen sei, frage ich. Sie überlegt. Sie weiß ihr Geburtsdatum nicht mehr. „Nicht schlimm“, beeile ich mich zu sagen. „Doch, das ist schlimm“, erwidert sie. Ihre Hände zittern jetzt noch mehr als vorher. Alt und schwach, so fühlt sie sich jetzt wahrscheinlich. Ich aber sehe, was sie schon als Kind ausgehalten und getragen hat. Wie sie es geschafft hat, dennoch ein liebender Mensch zu bleiben. Sieben eigene Kinder hat sie großgezogen. Und dabei noch gearbeitet. Denn das Geld war immer knapp. Immer hat sie durchgehalten. Was für eine starke Frau!