Der eine Apfel
Gerd hat oft gesagt: „Es gibt immer einen Grund Gott zu danken.“ Und Gerd muss es ja wissen. Schließlich war er ja Landwirt. Und da steht einem ja wohl vor Augen, was man jeden Tag geschenkt bekommt: Wasser vom Himmel, Sonnenkraft aus dem All, die geniale Idee, dass Dinge wachsen können. Ohne diese Geschenke, hätte Gerd ja gar nicht arbeiten können.
Einmal aber da hat Gerd von 1956 erzählt. Der Winter war hart und der Frühling kurz und trocken. Die Landwirte hatte es nicht leicht. An Gerds Apfelbaum hing genau ein Apfel. Mehr nicht. Relativ weit oben. Hinter Blättern versteckt. Und am Erntedanktag nahm Gerd eine Leiter, kletterte den Baum hoch und schnitt diesen einen Apfel ab. Dann ging er in die Kirche und legte ihn auf den Altar, um Gott dafür zu danken. Viele haben das damals nicht verstanden.
Natürlich gab es auch andere harte Jahre in Gerds Leben. 1986 als seine Frau starb. Und wenige Jahre darauf, als er selbst so krank war. Und trotzdem fand Gerd immer etwas, das ihn dankbar machte: Geschenkte gemeinsame Lebenszeit, Freunde in der Not. „Es gibt immer einen Grund Gott zu danken“, sagte er dann meist. Und hin und wieder fügte er hinzu: „Man muss manchmal nur etwas gründlicher suchen.“
Jetzt, wo wir Erntedank feiern, schaue ich etwas über unsere abgeernteten Felder hinweg. Hinaus in unsere chaotische Welt, die mich oft mutlos zurücklässt. Und ich denke an Gerds Worte. Mit ihnen mache ich mich dort draußen auf die Suche nach dem einen Apfel. Und wer weiß, vielleicht finde ich hinter den Blättern ja sogar noch mehr.
Pastor Christian Coenen
Kirchengemeinden der Region Dassel
